Vorne verloren

Rostocks Spieler missverstehen die defensiv-offensive Taktik von Trainer Veh und verlieren mit 0:1 gegen Bayern

ROSTOCK taz ■ Bis zur 76. Minute hatte er warten müssen. Dann endlich konnte sich Oliver Kahn ernsthaft nach einem Ball strecken. Rostocks Gerd Wimmer hatte auf das Tor geschossen. Kahn entschärfte die Situation ohne Probleme. Setzte sich kurz auf die Knie, reckte den Ball beschwörend in die Höhe, küsste ihn und entließ ihn wieder ins Spiel. Es war die einzige Eskapade des derzeit so schwierigen Erfolgsmenschen. Zwei Minuten zuvor hatte sein Gegenüber Mathias Schober eben diesen Ball nach einem Schuss von Ballack nicht festhalten können, was Ze Roberto dazu befähigte, seinen ersten Treffer für die Bayern zu markieren. Schober fühlte sich daraufhin „als Teil der Mannschaft schuldig. Ich hätte den Ball ins Aus lenken müssen, dass hat nicht geklappt.“ Bis dahin war Schober der gewohnt starke Rückhalt in der Hansa-Mannschaft. Die Statistiken sehen ihn in dieser Saison besser als Kahn, zuletzt sprach man schon von der Nationalmannschaft. Nun erwischte Schober das Kahn’sche Syndrom: Er patzte im wichtigsten Spiel, und sein Team verlor dieses.

Der von Kahn so arg liebkoste Ball ließ sich daraufhin nämlich nicht mehr beim eigentlich so lieblosen Bayern-Keeper blicken. München gewann, und Kahn spielte erstmals seit dem 24. August in der Bundesliga wieder ohne Gegentor. Was ihn nicht sonderlich zu begeistern schien, reckte er nach dem Schlusspfiff doch nur kurz die Fäuste. Dann besserte er noch flugs den Rasen vor seinem Tor aus und machte sich davon. Seine Kollegen würdigte er keines Blickes. Den Journalisten bestätigte er, dass es natürlich schön ist, zu Null zu spielen. „Für mich ist das aber nicht wichtig“, sagte er weiter, mit leerem Blick in die Luft. Nicht minder gleichgültig fügte er an, dass man bis zur nächsten kleinen Pause noch neun Spiele hat. „Die wollen wir alle gewinnen.“ Sagte es und verschwand. Kein Zweifel, er meinte das ernst.

Als Nächstes käme demnach der AC Mailand in der Champions League an die Reihe. Der neutrale Beobachter mag daran seine Zweifel haben. Nicht nur, weil einige Bayern-Profis das Ostseestadion arg ramponiert verließen. Ballack sah mit seiner genähten Augenbraue wie ein geprügelter Boxer aus. Nach ihm humpelten Sagnol und Hargreaves langsamen Schrittes in Richtung Mannschaftsbus. Alle drei Versehrten waren aber sicher, in Mailand spielen zu können.

Dort werden sie anders auftreten müssen, um Kahns Prophezeiung zu erfüllen. Auch wenn Ottmar Hitzfeld in Rostock von einem „hochverdienten Sieg“ sprach, dass eigentliche Spitzenspiel war ein einziger Langweiler. Ballack machte nur durch die mit Abstand meisten Foulspiele auf sich aufmerksam, ansonsten fiel ihm und seinen Kollegen nicht viel ein. Die wenigen Chancen vermasselte dann Elber, was seinen Trainer zur Annahme führte: „Vielleicht glaubt Elber nicht mehr an den Torerfolg.“ Die Antwort auf diesen Verdacht blieb der Brasilianer schuldig, wortlos eilte er an den Journalisten vorbei.

Genau wie sein Gegenüber Rade Prica. Rostocks gesetzter Stürmerstar war auch diesmal wieder ein Schatten seiner selbst. Wie der gesamte Rostocker Sturm, was Bachirou Salou die Erkenntnis brachte: „Wir haben das Spiel vorn verloren.“ Eine Tatsache, die Rostocks Trainer Armin Veh „sehr schlechte Laune“ bescherte. Immerhin war es die vierte Heimniederlage in Folge. Eine Serie, auf die man ihn derzeit besser nicht anspricht. Veh agiert dann nämlich gar nicht spaßig, schließlich seien das alles doch „nur Ergebnisse“. Hätten wir die Spiele gewonnen, dann hätten wir auf einmal alles richtig gemacht.“ Damit hat er nun zweifelsfrei recht, wenngleich unter grober Verdrehung von Ursache und Wirkung.

Gegen Bayern war er „auf ein 0:0 aus“. Diese defensive Ausrichtung monierten nach dem Abpfiff sogar seine Spieler. Markus Lantz meinte: „Mit drei Stürmern spielt es sich leichter.“ Da muss es zwischen Mannschaft und Trainer ein Missverständnis gegeben haben, denn Veh „wollte ein 4-3-3 spielen“. Dem leisen Protest seiner Spieler entgegnete er: „Defensiv spielen bedeutet nicht, dass die Spieler nicht offensiv sein dürfen.“ Wie sollen die das nun wieder verstehen?

DIRK BÖTTCHER